Lange Zeit war die vorherrschende Meinung der Medizin, dass es sich zwar bei Migräne um ein schweres Leiden mit starker Reduzierung der Lebensqualitität handele, dass Migräne aber selbst keine körperlichen bzw. neurologischen Schäden hinterlasse. "Mit Migräne können Sie uralt werden" ist eine beliebte Aussage von Ärzten.
Es gibt Anzeichen dafür, dass diese Meinung revidiert werden muss.
Gehirnaufnahmen konnten zeigen, dass bei Migräne-Patienten das Vorkommen für stumme Infarkte gegenüber einer Kontrollgruppe zwar insgesamt nur leicht erhöht war (8,1% versus 5%), bezogen auf bestimmte Gehirnregionen zeigten sich aber signifikante Unterschiede.
In einer bestimmten Hirnregion (Okzipitallappen und hintere Hirnarterien) lag das Vorkommen bei Migränepatienten durchschnittlich bei 5,4%, in der Kontrollgruppe bei 0,7%. Migräne mit Aura erhöhte das Risiko um den Faktor 13,7, Migräne mit Aura mindestens einmal pro Monat sogar um den Faktor 15,8.
Andere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie orale Langzeitkontrazeption, Tabak- und Alkoholkonsum sowie Bluthochdruck schienen dagegen keinen Einfluss auf die Häufigkeit der Hirninfarkte zu haben.
Unter den weiblichen Probanden fiel auf, dass Migränepatientinnen ein größeres Risiko besitzen, tiefe Läsionen der weißen Hirnsubstanz zu entwickeln als weibliche Kontrollpersonen. Die Anzahl der Läsionen korrelierte mit der Frequenz, in der Migräneanfälle auftraten. Allerdings war dieses Phänomen unabhängig von der Art der Migräne: sowohl bei Migräne mit Aura als auch bei Migräne ohne Aura war die Anzahl der Läsionen erhöht. Dies galt jedoch nicht für die männlichen Patienten: Hier konnte bezüglich der Häufigkeit der Läsionen kein Unterschied zu Kontrollpersonen festgestellt werden.
In einer anderen Studie wurde das Gehirn von 161 Migränikern mit Aura, 134 Migränikern ohne Aura und 140 Kontrollpersonen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren (populationsbasierte Auswahl) mittels Kernspintomographie (Magnetresonanz-Tomographie: MRT) untersucht. Dabei wurden bei 4,4% der Migräniker aber nur bei 0,7% der Kontrollpersonen Hyperintensitäten (Aufhellungen) in der hinteren Schädelgrube festgestellt.
Eine weitere Studie mit 15 Kindern mit wiederholter Migräne, 10 Kindern mit Spannungskopfschmerzen und 23 gesunden Kindern ergab, dass die Kinder mit Migräne bei einer Messung 3 Stunden nach einer Attacke signifikant erhöhte Serum S100 Beta-Proteinspiegel im Blut aufwiesen. Dies war weder bei den gesunden Kindern noch bei Kindern mit Spannungskopfschmerzen der Fall. Die Forscher schließen daraus, dass eine Analyse der S100 Beta-Proteinspiegel bei Kindern auch als zusätzliches diagnostisches Kriterium verwendet werden könnte.
S100 Beta-Proteinspiegel sind auch bei Alzheimer und dem Down-Syndrom zum Teil bis zum 20-fachen erhöht. Ferner gelten erhöhte Werte nach Schlaganfällen als ein Indikator dafür, wie schwerwiegend der Schlaganfall gewesen ist, und wie dessen Abheilung fortschreitet. Erhöhte Werte bei Migränikern könnten deshalb ein Anzeichen dafür sein, dass es während einer Migräneattacke zu Schädigungen des Gehirns kommt.
All das lässt den Schluss zu, dass häufige schwere Migräneanfälle sehr wohl langfristig das Gehirn schädigen können. Die erhöhte Infarktrate speziell bei Aura-Patienten in speziellen Gehirnregionen lässt darüber hinaus vermuten, dass die eigentlichen Probleme schon vor dem Ausbruch des Migräne-Schmerzes entstehen, dann, wenn die Gefäße im Kopf eher verengt sind und die Gesamtversorgung des Gehirns beeinträchtigt ist.
Es kann auf Basis dieser Ergebnisse deshalb zurzeit nur jedem Migräne-Patienten mit schweren häufigen Migräneanfällen geraten werden, die Anzahl der Migräneattacken niedrig zu halten. Ein einfaches Bekämpfen der Migräne mit Akutmedikamenten wie Triptanen ist möglicherweise nicht ausreichend.
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